Ein Kardan Workshop bei Motocomfort

Alles, was mit der Technik der LUFTgekühlten R1200xx zu tun hat
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Terry
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Ein Kardan Workshop bei Motocomfort

#1 Beitrag von Terry »

Ich berichte Euch über das workshop bei Bernd von motocomfort, das ich vor zwei Wochen absolviert habe. Anschließend bin ich dann weiter gefahren, u. a. an die Ostsee, deswegen erst heute mein Bericht:

Vorgeschichte
Im September vergangenen Jahres habe ich mir eine öl/luftgekühlte R 1200 R (K 27) zugelegt, die Baujahr 2012 ist und 19.000 Kilometer auf dem Tacho hatte. Die Maschine machte für mich einen sehr guten Eindruck, allerdings lässt sich ja bekanntlich nicht jedes einzelne Detail vor einem Kauf untersuchen und beurteilen. Kurzum, ich war sehr zufrieden und habe vor Eintritt des Winters noch ein paar kürzere Fahrten unternommen, so dass knapp 20.000 Km auf der Uhr standen. Natürlich habe ich vorher Motor- und Getriebeöl gewechselt, den Luftfilter, Batterie und Zündkerzen erneuert, Ventilspiel kontrolliert, das Übliche halt.

Neue Erkenntnisse
Bei meinen Youtube- und sonstigen Recherchen, die ich als sehr hilfreich empfunden habe, stieß ich nun auch auf Videos von Motocomfort, dort erfuhr ich dann sehr viel Interessantes aber auch Betrübliches über den Kardan einiger unserer BMW’s. Bernd deckte im Laufe der Zeit bei seinen Wartungs- und Reparaturarbeiten auf, dass sich die Kardanwelle bei nicht wenigen Maschinen aus gar nicht so alter Produktion besonders im Bereich des Endantriebs in teilweise jämmerlichem bis verheerendem Zustand befindet. Durch eingedrungenes Wasser und Kondenswasser im Tunnel zeigten sich in einigen Fällen verrostete, mit dem Endgetriebe fest verbackene Verzahnungen, und rastende Nadelgelenke, deren weitere Lebensdauer eher einem Lotteriespiel gleicht. Leider ist es aufgrund desolater Kardanwellen auch schon zu Unfällen mit nicht unerheblichen Folgen gekommen.

Hier ein link zu einem derartigen Fall: https://www.youtube.com/watch?v=vkanElFpck4

Wissensdurst
Da ich im Sommer eine Schottlandreise geplant habe, wollte ich natürlich wissen, wie es um meinen eigenen Kardan bestellt ist. Kondenswasser ist ja immer ein Thema, doch wurde der Kardan ab Werk ordentlich geschmiert? Angeblich soll er ja „wartungsfrei“ sein, weswegen Kardanpflege auch nicht auf dem Serviceplan erscheint. Um zu erlernen, wie die Freilegung des Kardans in der Praxis funktioniert, meldete ich mich bei Bernd zu einem workshop an, das Mitte Mai stattfand.

Am Sonntag Nachmittag erreichte ich das Ziel und wurde gleich sehr freundlich von Bernd und seiner Angetrauten, die übrigens mit großem Sachverstand glänzte, empfangen. Zuerst gab es ein köstliches Abendbrot mit hervorragend gewürzter Gulaschsuppe im gemütlichen Wohnzimmer des Anwesens. Danach ging es in die großzügig dimensionierte Werkstatt, ein separates Gebäude, wo meine eiserne Begleiterin bereits auf der Hebebühne wartete.

Kardanwelle
Das für mich Spannendste zuerst: Beginn mit dem Ablassen des Öls vom Endantrieb, das ich zuvor bewusst nicht erneuert hatte. Zumindest optisch war es höchste Zeit, die schwarze Schmiere zu entfernen, offenbar war hier noch nie ein Ölwechsel erfolgt. Dann Hochspannung vor dem Abklappen des Endantriebes nach Entfernung von Rad, Bremssattel und ABS Sensor und der wichtigen Schraube, die sich zunächst als widerspenstig erwies. Mittels Heißluft (Mutter) und Kältespray (Schraube) erweichte sich das ausgehärtete Loctite und die Mutter ließ sich plötzlich relativ leicht entfernen. Dieser Trick ist so wichtig wie eindrucksvoll, denn mit roher Gewalt reißt man allzu schnell die Mutter oder den Kopf von der Schraube. Mit dem Abklappen des Endantriebs flutschte der Zahnkranz aus der Aufnahme des Endgetriebes, es offenbarte sich ein gut geschmiertes und sauberes Endstück, die Gelenkprobe ergab, dass keine Rastmomente oder Knacken zu spüren waren. Der sichtbare Kardan präsentierte sich in exzellentem Zustand, gottlob kein Rost, kein Wasser im Tunnel. Er sah aus wie neu, so dass auf die Inspektion des vorderen Teils am Getriebe getrost verzichtet werden konnte. Nach ein paar abendlichen Bieren und netten Gesprächen mit Bernd über Gott und die Welt auf der Terasse meiner Schlafstätte endete der erste Arbeitstag und ich zog mich zufrieden zurück, war doch der für mich wichtigste Teil, das Wissen um eine gesunde Kardanwelle, positiv verlaufen.

Der nächste Tag
begann mit dem Rückbau der nun noch einmal geschmierten Kardanwelle, die nach wenigen Versuchen mit leichten Drehbewegungen und etwas Gefühl wieder in ihre Position, in die Aufnahme des Endantriebs gebracht wurde mit anschließender Verschraubung des Endantriebs. Bevor auf die Halteschraube frisches Loctite aufgebracht wurde, erfolgte die Reinigung von Schraube und Mutter mittels Drahtürste.

Da ich erst kürzlich sämtliche relevanten Wartungsarbeiten durchgeführt hatte, schloss sich noch die gründliche Reinigung der Bremssättel an mit Auswechselung der Bremsbeläge und Gängigmachen der Bremszylinder mit Bremspaste. Diese Arbeit ist etwas zeitaufwändig, sie belohnt aber durch ein ganz neues Brems- und Sicherheitsgefühl. Bremsflüssigkeit wurde hinten auch erneuert, vorne mache ich es in den nächsten Tagen selber, da die von mir mitgebrachten vorderen Beläge leider nicht gepasst haben. Außerdem warte ich noch auf den Schlauch mit dem integrierten Entlüftungsventil, das das ständige Öffnen und Schließen Bremssattel überflüssig macht. Erwähnen möchte ich noch die Inspektion der Kerzen, warum die Zündspulen dermaßen schwer abzuziehen gehen, verstehe wer will. Ein wenig Pflegepaste im Inneren des Gummis wird hoffentlich dafür sorgen, dass sich die Spulen beim nächsten Kerzenwechsel nicht mehr nur mittels Kraftzügen am um den Schaft herumgelegten Kabelbinder herausziehen lassen.

Nach einer erneut gemütlichen gemeinsamen Kaffeepause konnte ich dann gegen 15:30 die Weiterfahrt antreten, und das mit einem gefühlt nagelneuen Motorrad.

Herzlichen Dank nochmals für diese interessanten beiden Tage an Bernd und seine liebe Frau,
ich habe sehr viel gelernt und kann diese Erfahrung an meine Motorradkollegen nur wärmstens ans Herz legen. Denkt immer an Bernd’s Worte: Euer Kardan ist Euer Leben!

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Gruß, Michael


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Re: Ein Kardan Workshop bei Motocomfort

#2 Beitrag von Terry »

Ergänzend möchte ich noch erwähnen, dass ich die Arbeiten am Motorrad unter Bernd's Anleitung natürlich selbst durchgeführt habe, was ja auch der Sinn eines workshops ist, nämlich zu erlernen, die wesentlichen Wartungsarbeiten später zu Hause selbsttätig durchzuführen. Gelernt habe ich auch viel über die Anwendung der vielen unterschiedlichen Mittel zum Schmieren, Reinigen und Pflegen.
Gruß, Michael


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